Ein bisschen Frieden
1982 geht ein zierliches, blondes 17-Jähriges Mädchen auf die Bühne des Eurovision Song Contest und besingt mit einer weißen Gitarre ihren Wunsch nach Frieden, Freude und Liebe. Wer will das nicht? Das Publikum ist begeistert und die Welt ist begeistert. Banal, aber genial. 40 Jahre später entsteht auch wieder ein „ein bisschen Frieden“ auf der Bühne des ESC.
Die ukrainische Band „Kalush Orchestra“ gewinnt rekordverdächtig. Ein zweckloser Solidaritäts - Akt des europäischen Volkes. Es heißt ja nun auch immer, die Stimme sei die stärkste Waffe. Anscheinend auch singend. Trotz dessen würde ich behaupten, dass ukrainische Soldaten doch eher richtige Waffen bevorzugen würden. Aber man hat ja schon bei einem Sieg geholfen, dem auf der Bühne. Wie enttäuscht Putin über seine erste richtige Niederlage gegen Europa ist, bleibt auch fraglich. Sein Prestige, beziehungsweise das seines Landes, ist ja nach dem Angriffskrieg völlig wertlos. Dabei konnte Russland sich nicht einmal richtig einsingen, da wurde schon der Ausschluss Russlands aus dem ESC bekannt gegeben. Die EBU (die Mediengemeinschaft hinter dem ESC) veröffentlichte in einem Statement, dass Russlands Teilnahme „den Wettbewerb in Verruf bringen würde“. Als direkter Auslöser dafür wird der Angriffskrieg in der Ukraine genannt und als „beispiellos“ betitelt. Doch was die EBU vergisst ist, dass es viele weitere Beispiele und Gründe für einen Ausschluss Russlands vorab gegeben hatte. Also wenn schon politisch werden, dann auch richtig. Aber es musste erst knallen, bis die EBU auch mal den Ton angibt. -
Russland stärkt und nährt sich von Propaganda. So zu sehen auch in den letzten Tagen. Der ESC unterstützte dabei. 2008 Kaukasuskrieg, Russland singt: „Nothing else can stop me if I just believe /And I believe in me“. 2014 Krimkrise, Russland singt: „Closer to the crime / Cross the line at a time“. Natürlich behandeln beide Lieder, wie Nicole 1982, Themen wie Liebe, Freude und Glück. Die Frage ist nur, wer dafür bezahlt im Heimatland. Während dem Rest der Welt ein kitschiges Bild vorgesungen wird, sieht es Zuhause nämlich komplett anders aus. Lieben dürfen hier nur manche. Freude hat nur der Parteianhänger und Friede ist zeitlich begrenzt. Ein Tyrannenstaat darf nie die Möglichkeit zur einer internationalen Propagandashow haben. Die Kunst ist eine Waffe. Und auch schmalzige Popsongs sind Kunst. Da liegt auch der Kern des Problems, rührselige Radiosongs, wie zum Beispiel Russlands Hit „Believe“ von 2008 oder „Shine“ von 2014. Kein Hinterfragen, kein Anecken, einfach ein friedliches kleines Leben führen. „Ein bisschen Frieden“ lässt sich schnell finden, wenn man wegschaut.
Popsongs erschaffen eine heile Welt für einen kurzen Moment. Mit Liebe, Friede und Freude. Sie lenken uns von den Sorgen und Leiden des Lebens ab. Da ist es dann auch egal unter welchen Bedingung eine jeweilige Bevölkerung leben muss oder welche Kriege der Staat führt. Es geht aber auch anders. 2021 rappte Manizha auf russisch für die Emanzipation russischer Frauen. Kämpferisch und modern. Sie beendet ihren Auftritt mit: „We are the change!“ Und das kann man nur hoffen. Vielleicht wäre ein Umbau des ESC mal nötig. Moderner, mutiger. Wie Manizha. Kaum ein Jugendlicher guckt den ESC noch. Früher war der ESC noch ein Ursprungsort neuer Superhits. Die Gewinner wurden Wochen lang im Radio gespielt. Dann kam MTV und dann Spotify. Musik ist nun Massenkonsum. Täglich entstehen tausende radiofreundliche Lieder. Nach kurzer Berühmtheit verschwinden sie in der Masse des musikalischen Plunders. Auch die Lieder des ESC. Obwohl sie doch Kultur und Länder repräsentieren sollen. Eine verpasste Chance. Aber es gibt sie doch manchmal: Die politischen Botschaften, wie zum Beispiel der Sieg durch eine ukrainische Band, die provokativen Künstler, wie zum Beispiel Conchita Wurst. Warum nicht immer so? Beim ESC ist kein Skippen von Liedern möglich. Es entstehen seltene drei Minuten Aufmerksamkeit. Die Zuschauer:innen müssen sich mit dem Vorgetragenen auseinandersetzen. Lieder, Künstler und Show müssen sie herausfordern. Ihr Spektrum erweitern. Denn so werden Kulturen entdeckt. Durch das Verlassen der Komfortzone. Künstler:innen müssen Wunschvorstellungen aufbrechen. Sie dürfen keine stereotypische Popsong-Traumwelt vorspielen. Somit muss Politisches beim ESC Thema bleiben. Aber nicht von Staaten oder Gruppierungen aus, sondern von den einzelnen Künstler:innen.
P.R.